Head in the Air - Hintergründe 2: Retro

Sunday, April 10, 2016

Als Jugendlicher hatte ich eine etwas ignorante Einstellung gegenüber Musik, die älter war als ich. "Wieso soll ich mir Musik anhören, die früher etwas bewegt hat, wenn ich mir auch Musik anhören kann, die heute etwas bewegt?", habe ich mir gedacht. Ich war schon lange interessiert an Musik, die vorwärts denkt, Grenzen auslotet und Neues ausprobiert. Und tatsächlich haben meine damaligen Lieblingsbands wie The Cooper Temple Clause, Oceansize oder The Mars Volta einen Sound entwickelt, den es so früher noch nicht gab. Ich wusste schon, dass man die Bands einigermaßen in die Tradition Progressive Rock einordnen könnte, aber die ursprüngliche Variante dieses Genres aus den 70ern hat mich einfach nicht so interessiert wie die neuere.
Besonders ignorant war ich gegenüber den Beatles. Zugegeben, als unser Musiklehrer am Gymnasium versucht hat uns die Band etwas näher zu bringen, hat er zwei sehr schlechte Beispiele gewählt: Ob-La-Di, Ob-La-Da klingt einfach furchtbar nach Schlager und Revolution 9 ist auch nicht gerade repräsentativ. Und auch die Lieder, die man so aus dem Radio kennt, haben mich damals nicht angesprochen. Die hohen (schnell abgespielten) Stimmen haben mich genervt und generell waren die Lieder halt schon zu oft rauf und runtergespielt um in mir irgend etwas zu wecken. Ich wusste natürlich, dass die Band irgendwie relevant war, aber es hat mich nicht interessiert.

Zu meiner eigenen Überraschung habe ich in den letzten Jahren dann doch eine Faszination für Musik der 60er/70er entwickelt. Und zwar weniger für Rock als für Folk- und Pop-Alben aus der Zeit. Nick Drake mochte ich sowieso schon lange und Things behind the Sun war das erste Lied, das ich gleichzeitig auf der Gitarre spielen und singen konnte. So bin irgendwann auch auf Tim Buckley, John Martyn und weitere gekommen. Dann musste ich erkennen, dass in der Zeit einfach unglaublich innovative Musik gemacht wurde. Die endlose Fülle an guten Ideen, die anarchistische Art und Weise, wie die Möglichkeiten von Studio-Aufnahmen weiterentwickelt wurden, oder auch die wunderbaren orchestralen Arrangements in manchen Stücken – kaum zu glauben, dass so etwas damals Pop genannt wurde, wenn man an heutiges Radio-Gedudel denkt. Von den dynamischen und für heute ziemlich unkonventionellen Stereo-Mixen ganz zu schweigen. Zugegeben, dieser Gedanke ist nicht besonders originell, aber für mich war das doch so etwas wie eine Entdeckung. Und ich liebe einfach diesen nostalgischen Streicherklang wie bei diesem oder diesem Lied.
Und letztendlich habe ich wahrscheinlich keine Band in den letzten drei Jahren so oft gehört, wie die Beatles. Eines der ersten Lieder, das mich überzeugt hat war Piggies. Cembalo, Cello, Schweinegrunzen und der alberne Text – das hat schon was! Und überhaupt: Diese ganzen überbordenden, verspielten Melodien bei so vielen Beatles-Liedern sind genau das, was mir auch an The Shins oder dem "Shadows Collide with People"-Album von John Frusciante gefällt.

Natürlich ist Head in the Air kein Retro-Album geworden. Aber der Sound von alten Pop und Folk-Songs war ein wichtiger Einfluss bei manchen Songs und auch bei Entscheidungen, was den Mix und die Arrangements angeht. Vor allem Trust und Nicholas kann man durchaus als Hommage verstehen. Aber vor allem ist es der beschriebenen Musik zu verdanken, dass ich mich auf dem Album mehr auf das Format des Pop-Songs eingelassen habe. Denn in diesem Sinn klingt Head in the Air völlig anders als der Vorgänger Silence.

Head in the Air erscheint am 6. Mai 2016. Am Tag davor spielen war das komplette Album live im Marie Antoinette in Berlin. Karten können hier vorbestellt werden.